von Carina Geiger
Das erwartet Dich
in diesem Artikel
…
- Ich geriet ins Stocken, als ich den Kommentar posten wollte…
- Ein Profil, das beinahe platzt vor lauter Auszeichnungen, Urkunden, Bescheinigungen und Zertifikaten.
- Pin-Up-Girl schlägt Wanderurlaub.
- Da ein passendes Handtäschchen, hier ein verrücktes Hütchen.
- Was wäre eigentlich, wenn wir mal nicht perfekt wären?
Ich geriet ins Stocken,
als ich den Kommentar posten wollte…
Letzte Woche haben wir ein Bild in unseren sozialen Netzwerken gepostet und wollten wissen, wie unsere Follower zu Kritik stehen. Was Kritik für sie bedeutet, wie sie sie in ihrem Alltag nutzen und ob sie Kritik überhaupt annehmen können.
Als vorbildliche Mitarbeiterin, die ich da bin, wollte ich eigentlich nur kurz meinen Senf dazu geben, um die Algorithmen der jeweiligen Netzwerke etwas anzukurbeln. Aus „nur mal kurz…“ wurde eine knapp 30-minütige Zwiesprache mit mir selbst. Da es jetzt sowieso kein Geheimnis mehr ist: Ja, ich tu‘ mich schwer mit Kritik. Wenn Du mir Kritik nicht absolut sachlich und nachvollziehbar, in ruhigem Tonfall entgegenbringst, ist bei mir Schicht im Schacht. Entweder fühle ich mich angegriffen oder ich schalte auf Durchzug. Ich hatte meine Antwort schon formuliert und war gerade dabei, den „Senden“-Button zu drücken, als ich ins Stocken geriet…
Ein Profil, das beinahe platzt
vor lauter Auszeichnungen, Urkunden, Bescheinigungen und Zertifikaten.
Konnte ich unter meinem richtigen Namen in sozialen Netzwerken wirklich gestehen, dass ich nicht perfekt bin? Konnte ich diese Schwäche öffentlich zugeben, ohne mir ins eigene Fleisch zu schneiden, ohne dass es Konsequenzen haben würde?
Sofort schossen mir Profile von Leuten in den Kopf, die vor lauter Auszeichnungen, Urkunden, Bescheinigungen und Zertifikaten beinahe aus allen Nähten platzen. Diese Menschen würden in sozialen Medien vermutlich nie im Leben Schwäche zeigen.
Pin-Up-Girl schlägt
Wanderurlaub.
Man muss keine Studien anstellen, um zu verstehen, dass in den sozialen Netzwerken die Uhren eben anders ticken. Ein bisschen perfekter. Ein bisschen hochglanzpolierter. Posts, die aus super-fancy Hintergründen, farblich abgestimmten Outfits und tiefsinnig-klugen Sprüchen bestehen, eskalieren in sozialen Netzwerken. Woher ich das weiß?
Vor gefühlten Urzeiten war auch ich als Privatperson aktiv in den sozialen Medien unterwegs und habe ohne Rücksicht auf Verluste gepostet. Bevorzugt Bilder von mir selbst. Aber in freizügig-knappen 50-Jahre-Outfits, immer mit einem dicken schwarzen Lidstrich, dichten schwarzen Wimpern und farblich passendem Lippenstift zum Outfit. Mal auf alten Motorrädern, mal mit Vintage-Koffern auf großen Bühnen von Motorradtreffen. Je älter ich wurde, desto weniger habe ich jedoch gepostet. Letztens habe ich nach sechs Jahren allerdings mal wieder mein Profilbild geändert – das süß dreinblickenden Pin-Up-Bild wurde durch ein Bild ersetzt, auf dem eine Frau vor einer (fantastischen) Bergkulisse posiert. Das Bild entstand mit der Selbstauslöserfunktion meines Handys, nachdem ich schon vier Stunden bergauf durch brütende Hitze gewandert war. In Trekkingkleidung, die erfahrungsgemäß nicht super-fancy ist. Ist jetzt keine Überraschung, dass dieses Bild nicht von meinen Netzwerken gehyped wurde, oder?!
Da ein passendes Handtäschchen,
hier ein verrücktes Hütchen .
Ich erinnere mich noch gut daran, welchen Stellenwert die Likes früher für mich hatten. Ich war kein Influencer oder Ähnliches, der von Tausenden von Menschen verfolgt wurde. Aber im Laufe eines Jugend- und Berufslebens sammelt man eben schon mal ein paar Hundert Kontakte in den sozialen Netzwerken an.
Ich war ein schüchternes Kind, das nicht gerne auf anderen Kindergeburtstagen war und Einladungen zu Spiele-Nachmittagen dankend ablehnte. Erst in meiner Jugend lernte ich, aus mir herauszugehen. Mutig zu sein. Kein Problem damit zu haben, angeschaut zu werden. Es kam, wie es kommen musste –ich stieß auf Kleidung der 50er-Jahre. Und fühlte mich darin so wohl und mutig und stark und selbstbewusst wie nie zuvor. Das wollte ich in den sozialen Medien zeigen. Die Anerkennung, die ich dort für meinen Kleidungsstil und meinen Mut bekam, war ein Antrieb, immer noch eine Schippe drauf zu legen: da ein passendes Handtäschchen, da ein verrücktes Hütchen. Immer gutgelaunt, immer perfekt.
Was wäre eigentlich,
wenn wir mal nicht perfekt wären?
Die Perfektion in den sozialen Medien ist so eine Sache. Jeder von uns möchte sich selbst positiv darstellen – online und offline. Aber haben wir mittlerweile die Kontrolle über diese Art der Selbstinszenierung in sozialen Medien verloren? Muss denn wirklich immer alles perfekt geschniegelt und gestriegelt sein? Oder sind es vielleicht gerade die kleinen „Unperfektheiten“, die ein SOZIALES Netzwerk ausmachen? Was würde denn eigentlich im schlimmsten Falle passieren, wenn wir einmal nicht perfekt sind und Schwäche zugeben?
Ich habe meinen Kommentar übrigens dann doch gepostet. Einfach, weil ich mich nicht verstellen möchte. Und weil ich außer mir selbst niemanden beeindrucken möchte. Das ist mir damit gelungen. Ich bin nicht perfekt, aber fürs Erste zufrieden.