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Das zu sagen, was alle hören wollen,

war noch nie mein Ding.

Unsere Marketingabteilung möchte einen Krisen-Erfahrungsbericht von mir. Ich soll erzählen, wie ich die Krise erlebt und was ich daraus gelernt habe.

Nachdem ich die letzten Wochen für mich Revue passieren lasse, stelle ich mir die Frage: „Kann ich Euch das wirklich zumuten?“. Ich entscheide mich dafür, denn was bleibt mir anderes übrig? Eine „Die Krise als persönliche Chance und Grundlage für eine tolle Zukunft“-Geschichte bringe ich aber beim besten Willen nicht zu Papier. Das zu sagen, was alle hören wollen, war noch nie mein Ding.

Auf die Gefahr in, entgegen meines ansonsten selbstkontrollierten (meist professionellen) Auftretens, absolut unreflektiert, unsachlich und höchst emotional zu wirken, habe ich mich also an die folgenden Zeilen gemacht. Liebe „Homeoffice-Feierer“ und „Raus aus der Komfortzone, rein in die Zukunft“-Anhänger, ihr solltet jetzt lieber nicht mehr weiterlesen…

Wie im Kino,

nur ohne Popcorn und Cola.

Kennt Ihr das Gefühl, Euren Alltag von außen zu betrachten? Dabei zuzusehen, wie er an Euch vorbeizieht, ohne dass Ihr bewusst daran teilhabt? Als eine Art Kino-Zuschauer, nur ohne leckeres Popcorn und Cola im Liter-Becher? Dafür aber mit einer extra Portion Monotonie, gespickt mit dem unguten Gefühl, irgendwie eingesperrt zu sein und garniert mit (für mich absolut untypischer) schlechter Laune und endloser Müdigkeit?

So fühlte sich die Zeit des Lockdowns für mich an – beruflich und privat. Erst vor ein paar Wochen habe ich angefangen, die neuen Bedingungen vollends zu akzeptieren, mich ganz bewusst danach zu richten und auch die positiven Seiten der Krise wahrzunehmen. Denn natürlich habe auch ich als notorische „Homeoffice-Hasserin“ und leidenschaftliche Verfechterin des Satzes „Nichts geht über den persönlichen Kundenkontakt“ ein bisschen etwas dazugelernt.

#shameonyou,

für Eure fröhlichen Homeoffice-Stories.

Ein Montag, Mitte März 2020.

Alle Kollegen sind im Homeoffice, ich eingeschlossen. Darauf hatten wir uns in der vorigen Woche geeinigt. Mal sehen, wie es läuft. Der Tag vergeht in Windeseile, denn wir haben vor, die „COCOMIN Soforthilfe“ auf den Weg zu bringen. Wenn wir schon keine Kundenprojekte anpacken können, dann wenigstens mit Vollgas die internen Themen vorantreiben. Zack, Abend.

Ich bin nach gerade einmal einem Tag zu 100% genervt von meinen eigenen vier Wänden. Ich verfluche alle, die meinen, meine LinkedIn-Timeline mit fröhlichen Homeoffice-Berichten zuspamen zu müssen. Ihr habt wohl noch nie in einer kleinen, kalten Erdgeschoss-Innenstadt-Wohnung gelebt, mit Nachbarn im Haus, die offenbar gerne klassischer Musik lauschen (volle Lautstärke und dünne Wände inklusive) und seid mit Eurem 13-Zoll-Mini-Laptop an Eurem Mini-Esstisch auf Eurem (wie sich herausstellte) ziemlich unbequemen Designer-Esstischstuhl gesessen, der eigentlich niemals dazu berufen war, den ergonomischen Pflichten eines Bürostuhls nachzukommen? #shameonyou, für Eure fröhlichen (für mich: unsensiblen!) Homeoffice-Stories.

Der darauffolgende Dienstag, Mitte März 2020. Über unendlich lange erscheinende Wochen hinweg bis Mitte Mai 2020.

Nach meinem desaströsen Homeoffice-Start bin ich, gemeinsam mit meinem Chef, zurück im Büro. Irgendjemand muss ja hier die Stellung halten, falls doch mal zufällig jemand anruft. Die Wochen verlaufen monoton. Der Wecker klingelt nun meist schon um 05:30 Uhr – die perfekte Zeit, um eben mal eine Runde joggen zu gehen (ohne potenziellen Virus-Überträgern zu begegnen). Ich würde mich am liebsten nochmal umdrehen und sehne mich nach meinen bisher (okay, zugegeben, stets unregelmäßigen) Besuchen im Fitnessstudio, das mich vor Wind, Wetter und eigenartigen Gestalten im Stadtpark schützt.

Aber was soll’s – die Krise meint es anders mit mir und möchte mich partout zu einem besseren Menschen mit gesünderer Lebensweise machen. Kurz noch den Salat für unseren #healthylunch vorbereitet und ab geht es mit dem Auto Richtung Büro – absolut staufrei, versteht sich. Ein weiterer Tag vergeht, ohne, dass ich einer Menschenseele außer meinem Chef begegne und langsam denke ich mir:

„Andy, so gern ich Dich habe, aber wenn ich nicht bald jemand anderen außer Dir treffe, werde ich wahnsinnig!“

Schweigende Telefone,

leere Postfächer.

Trotz der absoluten Stille, die von unseren Telefonen ausgeht, und der gähnenden Leere in unseren Postfächern, haben wir überraschend viel zu tun. Die Welt hat uns anscheinend doch nicht vergessen. So ein Lockdown im heißen April hat auch seine guten Seiten – unsere Arbeitsplätze verlegen wir einfach auf unsere Dachterrasse und zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit schaffen wir es, konzentriert (und vor allem ohne Unterbrechung) Angebote zu erstellen und uns an die Konzeption der Inhalte für unser neustes Projekt zu machen. Wenn wir es nicht besser wüssten, dann könnte das Büroleben gut und gerne weiterhin so ablaufen.

Warum zum Teufel,

sind wir da nicht schon früher drauf gekommen?

Apropos Projekt. Entgegen meiner (wie immer leicht pessimistischen) Erwartungen, dass eine Auftragsklärung, die Konzeption von Inhalten und auch die Umsetzung eines Projekts nicht ohne Weiteres ohne den persönlichen Kontakt mit dem Kunden ablaufen kann, werde ich eines Besseren belehrt. Unsere Projektabstimmungen in Form von Online-Meetings klappen erstaunlich gut und sind durch ihre kürzere Dauer teilweise produktiver als unsere vier- bis achtstündigen Meetings, für die wir ansonsten regelmäßig quer durch Deutschland fahren. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen:

„Warum zum Teufel, sind wir da nicht schon viel früher drauf gekommen?“.

Meine Learnings

als Projektleiterin.

Meine persönlichen Projektleiter-Learnings aus der Krise sind zusammengefasst also

  1. Struktur im Online-Meeting steht über allem.
    Ich geb’s ja zu – bei Face-to-Face-Meetings neigt man hier und da gerne mal dazu, die Dinge auf sich zukommen zu lassen und sich mit dem absoluten Minimum an Vorbereitung durchzumogeln – ökonomisches Prinzip aus dem Schwabenland eben. Im zeitlich begrenzten Online-Meeting ein Ding der Unmöglichkeit. Hier geht es Knall auf Fall und ohne eine halbwegs anständige Vorbereitung bist du sogar als Meister der Improvisation verloren.
  2. Wer macht was bis wann?

Die Frage aller Fragen. Verbindliche Vereinbarungen waren uns schon immer wichtig. Das mussten wir nicht erst lernen. Die Zeit der wöchentlichen Online-Meetings und unregelmäßigen Telefonate haben uns jedoch einmal mehr gezeigt, wie essentiell konkrete Maßnahmenpläne sind. Denn Abstimmungschaos und Doppelarbeit kann man gerade in belastenden Zeiten so gar nicht brauchen.

  1. Der persönliche Kundenkontakt.

Die Essenz meiner Arbeit. Ich bin zurück. Und nie war ich glücklicher – trotz der Business-Klamotten und den viel zu engen, blasen-versprechenden Ballerinas an meinen Füßen. Über die sehe ich gelassen hinweg, solange ich unsere Kunden persönlich treffe. Ihr tägliches Umfeld kennenlerne. Die Atmosphäre im Büro und die Kultur des Unternehmens hautnah miterlebe. Auch mal Privates beim gemeinsamen Mittagessen austausche. Und zu guter Letzt Vertrauen aufbaue.

Abschließend lässt sich sagen:

Corona nervt. Immer noch.

Abschließend bleibt mir nur noch Folgendes zu sagen: Corona nervt. Immer noch. An diesem Gefühl ändert auch die Tatsache nichts, dass wir ganz schön viel aus den vergangenen Wochen mitnehmen können – für das Unternehmen und auch privat. Und natürlich bringt es nichts, sich nach der Zeit vor der Krise zu sehnen. Und so verwerflich es derzeit scheint: Ich sehne mich sehr wohl nach der Zeit nach Corona und träume schon jetzt von durchzechten Club-Nächten mit meiner besten Freundin und Sightseeing in New York als Ausgleich zu hoffentlich zahlreichen, geschäftigen Tagen bei unseren Kunden vor Ort.

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